In den letzten Monaten hat sich etwas verändert. Nicht nur in meinen Projekten, sondern auch in meinem Blick auf Design selbst. Es ist, als ob die Branche – und vielleicht auch wir alle – kollektiv einen Gang zurückschalten. Wo früher noch Effekte, Farben und “Wow-Momente” dominierten, spüre ich heute ein wachsendes Bedürfnis nach Ruhe, Klarheit und echtem Ausdruck. Vielleicht liegt es an der Reizüberflutung. Vielleicht an der künstlichen Intelligenz, die plötzlich alles kann – und gleichzeitig so wenig fühlt.

Früher hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal mit einer Maschine gemeinsam gestalten würde. Heute ist das Alltag. KI generiert Layouts, erstellt Farbpaletten, schreibt Texte. Und das Erschreckende? Sie macht das gar nicht schlecht. Aber genau da beginnt das Problem: Wenn alles möglich ist – was ist dann noch deins? Ich merke immer häufiger, dass ich nicht nach dem perfekten Design suche, sondern nach dem, was sich richtig anfühlt.

Nicht selten lösche ich Entwürfe, die auf den ersten Blick “professionell” wirken, aber im Kern leer sind. Stattdessen entscheide ich mich für das Unperfekte, das Mutige, das Menschliche. Für eine Schrift, die atmet. Für einen Raum, der nichts sagt – aber alles fühlen lässt.

Design ist für mich kein Werkzeug mehr, um Eindruck zu machen. Es ist ein Medium, um ehrlich zu sein.

Ich glaube, wir sind an einem Punkt angekommen, an dem visuelle Stille lauter spricht als jede Animation. Früher habe ich versucht, jede Fläche zu füllen – heute lasse ich bewusst Dinge weg. Ich stelle mir Fragen wie: „Muss dieses Element wirklich hier sein?“ oder „Würde dieser Button fehlen, wenn ich ihn weglasse?“ Und oft lautet die Antwort: Nein.

Das weiße Feld, die gezogene Linie, der stille Blick – das alles hat plötzlich mehr Gewicht als der nächste Color Gradient oder Micro-Interaction. Es geht nicht mehr darum, zu zeigen, was ich kann. Sondern zu zeigen, wo ich stehe.

Auch mein Tempo hat sich verändert. Ich arbeite langsamer. Nicht aus Faulheit, sondern aus Respekt. Nicht jedem Brief muss sofort eine Lösung folgen. Manchmal liegt die Antwort nicht im Tun, sondern im Warten. Im Spüren. Im Schweigen.

Ich habe gelernt, “Nein” zu sagen. Zu Projekten, die laut, aber seelenlos sind. Zu Layouts, die beeindrucken sollen, aber nichts erzählen. Und “Ja” zu Momenten, in denen ich mit dem Kunden einfach nur in Stille vor einem Entwurf sitze – und beide wissen: Da ist etwas. Etwas Echtes.

Natürlich beobachte ich die Szene weiter. Ich sehe, wie sich neue Ästhetiken bilden. Neo-Brutalismus taucht auf – roh, kantig, ungeschliffen. Gleichzeitig kommt eine neue Form von Minimalismus auf uns zu: emotional, bewusst, fast poetisch. Ich fühle mich oft zwischen diesen Polen hin- und hergerissen. Aber vielleicht ist genau das der Ort, an dem ich am liebsten bin: dazwischen.

Wo das Rohe auf das Zarte trifft. Wo die Idee wichtiger ist als der Stil.

Was mich besonders freut, ist der Blick zurück nach vorn. Immer mehr Designer holen sich ihre Inspiration vor der eigenen Haustür. Man sieht türkische Ornamente in modernen Interfaces, arabische Kalligrafie in Branding-Systemen, deutsches Bauhaus in neuer Form interpretiert. Wir lernen wieder, unsere Wurzeln zu ehren – und sie in eine globale Sprache zu übersetzen.

Das ist nicht Retro. Das ist Erinnerung. Und Erinnerung ist das ehrlichste Design.

Am Ende bleibt diese eine Frage:
Was bleibt, wenn der Bildschirm aus ist?
Was bleibt, wenn das Briefing vorbei ist, die App heruntergefahren, der Kunde offline?

Für mich ist es das Gefühl, dass ich – für einen Moment – mit meiner Arbeit jemandem begegnet bin. Ohne Worte. Ohne Werbung. Ohne Effekte.

Nur durch Form. Raum. Tiefe.

Und vielleicht ist genau das das neue Design.

© 2015 - 2025 oonio design